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Der Garten der Erinnerung

Mark blickte nach draußen. Ihm war es so, als wäre es gestern gewesen, dass Tante Penny dort draußen auf der Gartenbank gesessen hätte. Er selbst neben der Tante, konnten sie so oft schweigend nebeneinandersitzen. 

Die Tante hatte immer eine bestimmte Art zu sitzen. Es sah gemütlich aus, in ihrem Lieblings Sessel am Kamin oder draußen in ihrem Garten. 

Dort hatte sie sich immer selbst das Gemüse angepflanzt, während die Blumen und die Bienchen um sie herumschwirrten. Das hatte sie glücklich gemacht. Auch jetzt im Mai blüht alles in dem wunderschönen, großen Garten. Natürlich war er auch etwas verwildert - logisch seit Monaten hatte sich keiner mehr so richtig um ihn kümmern können. Tante Penny hatte eine Zeit lang einen Gärtner gehabt, der sich mit ihr zusammen um den Garten kümmerte, doch irgendwann konnte sich die Tante ihn nicht mehr leisten und er musste gehen. Mark fand ihn immer unheimlich und mürrisch. Er konnte sich nie den Namen des Gärtners merken also nannte er ihn einfach: Gärtner Brumm Pa.

Wenn der Gärtner die Pflanzen wässerte oder umtopfte, sah man seine Hingebung und eine liebevolle Art mit den Pflanzen umzugehen. Manchmal sprach er sogar mit ihnen. Er sagte, dass Pflanzen und Blumen schließlich auch Lebewesen sind, die Zuwendung in aller Form brauchten.

 

Er selbst hatte jedenfalls kein großes Händchen für Pflanzen und seitdem Tante Penny nicht mehr da war, kümmerte es keinen aus der Familie, was aus den Pflanzen, den Wildblumen und allen anderen Lebewesen wurde. Überall, wohin er auch schaute erinnerte sich daran, wie oft er zu Tante Penny durfte in den Ferien - oder wie sie richtig hieß: Susanne Weber. Im Gartenschuppen hatte er sich immer gern versteckt, wenn er mit seiner Tante zusammenspielte und sie fand ihn immer und überall. Einmal wollte er durch den Brunnen, der ebenfalls in ihrem Garten stand, zum Mittelpunkt der Erde schauen. Er hatte zu der Zeit einen Film gesehen, bei dem es um den Mittelpunkt der Erde ging. Schmunzelnd, fiel ihm wieder ein, wie er sich gefühlt hatte. Er wollte eine echte Expedition mitten in der Nacht veranstalten, um seine Tante nicht zu beunruhigen.

 

Eine Kassette hatte er ihr aufgenommen mit einer Nachricht, dass er bald wiederkommen würde. Er müsse nur mal eben was entdecken. Eine Schnur, welche zum Rekorder führte, hatte er ihr sehr leise in die Hand gelegt, damit sie ihn gleich fand, wenn sie aufwacht. 

Bei ihr gab es auch immer viel Obst. Am liebsten mochte Mark Erdbeeren oder Heidelbeeren. Reinlegen konnte er sich in sie. Und wenn sie so schweigend Nebeneinander saßen, begann Mark immer alles aufzuzeichnen, was seine Augen sahen. Blumen und Äste zeichnete er. Kiefernadeln oder Kastanien gesellten sich dazu. Doch am liebsten beschäftigte ihn Tante Penny - oder besser: ihr Gesicht. Besonders mochte er den Blick von ihr Ruhig und gelassen, ein wenig ernst mit ihren Fältchen um die haselnussfarbenen Augen blickten sie in die Welt hinaus und auf den ersten Blick hätte man gar nicht gesehen, dass diese Augen nichts mehr sahen. Seit Mark sie kannte, war Tante Penny blind gewesen.

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Er hatte die Tante schon öfter gefragt, warum sie Blind war, doch sie wollte nie darüber reden. Also beließ Mark es dabei. Er wusste nur, dass es sich bei der Blindheit wohl um eine Familiensache handelte, denn Marks jüngere Schwester ist auch etwa seit ihrem fünften Lebensjahr blind. Sie selbst redet ebenfalls nicht gerne darüber.

Mark setzt sich nun an den Schreibtisch und blättert in der Zeichenmappe, die auf dem Tisch liegt. Seine Tante hat die Zeichnungen immer alle aufgehoben. Sie wusste, dass diese bei ihr gut aufgehoben sind. Marks Vater sah es nämlich nicht gern, wenn Mark den Stift über das Papier scheuchen ließ, um das Gesehene aufzuzeichnen. Seiner Meinung nach kann man damit kein Geld verdienen, doch das ist es, was im Leben zählt. Da ist das Bild, an welches er sich vorhin erinnert hatte.

Als eres gezeichnet hatte, war es ein windiger Regentag gewesen.

Tante Penny wollte unbedingt ein wenig draußen sitzen und weil Mark immer bei der Tante sein wollte, haben sie sich die Jacken angezogen und sich auf die Bank unter einer großen Eiche, die in ihrem Garten steht, gesetzt. 

Er wusste nicht mehr genau, wann das war - es war jedenfalls das letzte Mal, dass er sie gesehen hatte. 

Traurig geworden von der Erinnerung schaut Mark nochmal auf die Zeichnung und klappt sie dann zu. 

Als er von seinen Eltern erfuhr, dass Tante Penny ganz plötzlich entschlafen war, hatte er sich gleich Vorwürfe gemacht. Er dachte daran, dass sie sich an diesem Nachmittag im Garten verkühlt haben könnte. Doch sein Vater erzählte ihm, Tante Penny hätte an diesem Nachmittag von ihrer Krebserkrankung erfahren. Er wüsste dies von ihrem Hausarzt, bei dem sie gewesen war. Mark fragte sich nun, warum sie ihm nichts davon erzählt hatte. 

Er hatte immer gedacht, wenn es eines gab, was sie zusammen teilten, dann wäre es Vertrauen.

Er wusste beinahe alles von ihr. Marks Vater war der ältere Halbbruder von Tante Penny gewesen. Sie hatten zwei verschieden Mütter gehabt. Seine Großmutter Väterlicherseits ist früh gestorben - da war sein Vater gerade mal fünf Jahre alt gewesen. Ziemlich bald danach hat sein Vater eine neue Frau kennengelernt und bald darauf kam Susanne auf die Welt - seine Tante. Eine Zeit lang sind sie miteinander aufgewachsen, doch die Ehe der Eltern zerbrach schon bald und sie trennten sich wieder. Susanne ist mir ihrer Mutter weggezogen und erst wieder mit ihrem Bruder in Kontakt gekommen, als Marks Schwester Beth ebenfalls blind wurde. 

 

Marks Vater hatte deshalb Rat bei seiner Schwester gesucht, den er auch bekam und weil er sich wegen Beths Behandlungen mehr um sie kümmern musste, war Mark deshalb oft zu Besuch bei ihr gewesen.

Sein Blick fiel auf das Foto von dem Hund Penny, welches seit ewigen Zeiten auf dem Schreibtisch stand. Dieser Hund war der Grund für Tante Pennys Namen. Siebzehn Jahre alt wurde Penny und seitdem nannten alle Susanne nur noch nach ihrem Hund – sie waren ein Herz und eine Seele. 

 

Pennys Rasse hatten sie nie ganz herausgefunden. Sie vermuteten eine Mischung aus Bernhardiner, Labrador und Schäferhund: mittelgroß, beigefarbenes langes - zotteliges Fell mit kleinen Knopfaugen und Schlappohren. 

Er erinnerte sich noch gut daran, wie sie beide immer versuchten die riesigen Kletten aus dem dichten Fell zu pflücken. Als Kind kam es ihm immer vor, als suche er in dem Wirr-Warr nach Überraschungseiern und fragte manchmal 

Tante Penny danach, ob sie diese in Pennys Fell versteckt hätte.

 

"Bist du fertig?" Mark sah seine Schwester in der Tür stehen. Hübsch ist sie geworden, dachte er sich dabei. Letzte Woche erst feierte sie ihren zwanzigsten Geburtstag.

Heute trug sie einen roten Knielangen Sommerrock und ein grünes Top. Außerdem war sie nie ohne ihre Sonnenbrille und dem Blindenstock, auf den sie sich jetzt mit beiden Händen aufstützte, unterwegs. 

An diesem Sonnigen Mai Tag wollte Mark sich von dem Haus und allem verabschieden, weil sein Vater es unbedingt verkaufen wollte. Er hat Stunde um Stunde auf seinen Vater eingeredet – dass er es doch bleiben ließe, doch sein Vater war standhaft geblieben. Ihm war nicht viel an diesem Haus gelegen. Von der Familie war immer nur Mark hier gewesen. 

 

Weil seine Schwester aus eigener Erfahrung sagen konnte, wie wichtig Vertrauen war, bot sie an ihn zu begleiten. Er war sehr dankbar dafür, doch das würde er ihr nie sagen. Das musste er auch nicht, sie kannte ihn. Besser als er selbst wie es manchmal schien.

„Möchtest du mich noch weiter schweigsam anstarren?“ Beth kam näher und klang ein wenig gereizt. 

„Tschuldigung“, murmelte er und war innerlich wie schon so oft erstaunt darüber, wie sensibel ihre anderen Sinne zu sein schienen. Aber das war natürlich logisch, gestand er sich dann ein. 

Wenn ein Sinn nicht funktioniert, müssen andere die Balance wieder ins Gleichgewicht stellen.
„Schon gut.“ Sie streckte ihm die Hand entgegen. Er nahm sie, beide verließen das Zimmer und traten auf den Sonnenbeschienenen Weg, der zum Tor führte. 

Das kurze Stückchen Weg kam ihm unglaublich lang vor, seine Schritte schienen wie Blei zu sein und er war froh, um die Hand seiner Schwester. Obwohl sonst sie diejenige war, die geführt wurde, schien es nun umgekehrt zu sein. Er schloss seine Augen beim Gehen, um all die Gefühle los zu werden, die ihn zu überfallen drohten.

Er hatte bereits Übung darin, blind irgendwohin zu laufen. Als Kind hatte er sich oft ein Band oder Tuch über die Augen gezogen und hatte geübt so zu gehen. Sich nur auf den Tastsinn – das Hören zu konzentrieren. Tante Penny schien dem damals eher skeptisch gegenüber zu stehen, das wusste er jetzt. Sie hatte nie ganz verstanden, warum er das Blindsein verstehen wollte. Aber sie ließ ihn machen und dafür war er sehr dankbar. 

„Du kannst die Augen wieder öffnen!“ Überrascht blinzelte er sie an. Sie waren vor dem Tor angelangt und standen vor dem Silbergrauen Kombi herum. 

“Woher weißt du…?“ „Es ist die Art, wie du mich hältst. Deine Hand meine ich. Ich habe dich geführt!“ Fügte sie noch stolz hinzu. Zum Dank drückte er ihr die Hand. 

Sie nickte und gemeinsam stiegen sie in das Auto. Natürlich saß er am Steuer. Tief Luft holend betrachtete er zum letzten Mal das Haus, welches seit vielen Jahrzehnten schon dastand. Immer bereit, neue Hausbewohner aufzunehmen, den Wind flüsternd hereinzubitten, um sie zu begrüßen und dort sah er sie. Wie eh und je sitzt sie auf der Hausbank vor der Tür und winkt ihm zu. Es fühlt sich so an, als ob sie ihn jetzt sehen kann.

Der Garten der Erinnerung _gelesenMona Bernhard
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Über die Autorin:

Mona Bernhard (Monalitha): Künstlerin, Podcasterin, Bloggerin: www.series-talk-mein-leben-ist-bewegung.art
Schauspielerin, Theaterpädagogin

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